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Gernot Blümel vs Wolfgang Pechlaner

Vergesslich oder korrupt?

Am 3. März 2021 veröffentlichte der pensionierte Informatiker Wolfgang Pechlaner einen Tweet auf seinem Twitter-Account (mit damals nur rund 240 Followern). Er reagierte damit auf einen Artikel über das Abstimmungsverhalten der ÖVP-Abgeordneten im Europäischen Parlament innerhalb der EVP-Fraktion. Bis auf Othmar Karas stimmten alle ÖVP-Abgeordneten gegen eine Reform, die den Weg zum Ausschluss der Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban geebnet hätte. Pechlaner veröffentlichte daher folgende Antwort:

„@othmar_karas ist eben noch ein Konservativer, den ich, obwohl links stehend, akzeptiere. So wie Busek oder Mauthe. Die jetzige türkise Führung ist nur mehr korrupt und machtgeil. Und wenn mich auch der laptoplose Blümel verklagt, diese Partei ist vergesslich oder korrupt.“

Der ehemalige Finanzminister, Landesparteiobmann der ÖVP Wien und enger Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, Mag. Gernot Blümel, brachte daraufhin am 11. Juni 2021 eine zivilrechtliche Klage auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufes mit einem Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung beim Handelsgericht Wien ein.

Parallel erhob er auch eine strafrechtliche Privatanklage wegen Übler Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB und medienrechtliche Entschädigungsanträge nach §§ 6 ff MedienG.

Aus unserer Sicht handelt es sich dabei um eine Einschüchterungsklage – „SLAPP“. Darunter versteht man eine strategische Klage gegen politische Teilhabe der Zivilgesellschaft (Strategic Lawsuit Against Public Participation). Damit sind unbegründete und/oder übertriebene Klagen gemeint, die von Staatsorganen, Unternehmen oder mächtigen Einzelpersonen gegen schwächere Beklagte angestrengt werden, die in einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse unliebsame Kritik an den Betroffenen üben oder Tatsachen bloßstellen. Ziel solcher Klagen ist es, Kritiker:innen zu zensieren, einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, indem ihnen die Kosten der Verteidigung so lange aufgebürdet werden, bis sie ihre Kritik oder ihren Widerstand aufgeben.

Es ist offensichtlich ein politischer Meinungsstreit mit einer sogenannten „public figure“, die sich nach der Rechtsprechung des EGMR mehr Kritik gefallen lassen muss. Denn Pechlaner geht es mit dem Tweet um politische Kritik an der Haltung der Neuen ÖVP, die sich von den Werten des bürgerlichen Anstands entfernt habe. Der Begriff „korrupt“ wird von Pechlaner nicht im strafrechtlichen Sinne, sondern als Synonym für „sittlich verwerflich“ verstanden.

Zudem stellen zwei Verfahren, die sich über mehrere Jahre hinziehen können, nicht nur eine enorme finanzielle, sondern auch eine psychische Belastung dar, gerade für eine Privatperson, die es nicht gewohnt ist, in der Öffentlichkeit zu stehen.

Die durch Blümel angerufenen Gerichte beurteilten den Fall in erster Instanz unterschiedlich: Während das Straflandesgericht Wien Pechlaner zunächst erstinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilte, lehnte das Handelsgericht Wien eine einstweilige Verfügung ab.

Das Straflandesgericht Wien begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es den Begriff „korrupt“ nicht „freigeben“ könne, da er sonst von allen Medien ohne Bedenken verwendet werden könne.

Parallel dazu lehnte das Handelsgericht Wien Blümels Antrag auf einstweilige Verfügung mit der Begründung ab, dass die Äußerungen auf einem „hinreichenden Tatsachensubstrat“ beruhten. Der Tweet sei auch kein „Wertungsexzess“, sondern ein „gerechtfertigtes Werturteil“, weiters hätte der Tweet im Kontext der medialen Berichterstattung über den Ibiza-U-Ausschuss und den Korruptionsermittlungen im ÖVP-Umfeld beurteilt werden müssen. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte diese Entscheidung: Pechlaners Äußerung sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Der Oberste Gerichtshof wies in der Folge auch ein weiteres Rechtsmittel Blümels zurück, womit die Entscheidung über die einstweilige Verfügung rechtskräftig wurde.

Das sogenannte Definitivverfahren, also das Verfahren in der Sache vor dem Handelsgericht Wien, wurde daraufhin bis zur Rechtskraft des Strafurteils ausgesetzt, da ein rechtskräftig entschiedenes Strafverfahren Bindungswirkung für das Zivilverfahren entfaltet.

Im Strafverfahren entschied schließlich auch das Oberlandesgericht Wien in der zweiten Instanz, dass die vom Pechlaner geäußerte Kritik zulässig war. Pechlaners Aussage „diese Partei ist vergesslich und korrupt“ mit der Nennung Blümels sei eine „süffisante Anspielung auf dessen Aussageverhalten im Untersuchungsausschuss“, da dieser „dort viele Fragen damit beantwortet hat, dass er sich nicht mehr erinnern könne“. Der Tweet sei daher nur „eine kritische Bewertung des Handelns der ‚türkisen Führung‘ einschließlich des Antragstellers“.

Überdies seien die Grenzen akzeptabler Kritik bei Politikern weitergezogen als bei Privatpersonen. Zusätzlich war der Tweet zwar „eine grob formulierte Unmutsäußerung und Wertung“, aber die Meinungsfreiheit schützt „nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgetragene und niveauvoll ausgeführte Bewertungen, sondern jedes Unwerturteil, das nicht in einem Wertungsexzess gipfelt“. Damit wurde Wolfgang Pechlaner freigesprochen.

Zu beachten ist allerdings, dass das Urteil „kein Freibrief für die Verwendung des Vorwurfs ‚korrupt’“ ist. Es kommt immer auf den „konkreten Kontext und ein entsprechendes Tatsachensubstrat“ im Einzelfall an.

Nach Verkündung des Strafurteiles zog Blümel die zivilrechtliche Klage unter Anspruchsverzicht zurück. Damit endete das Verfahren vor dem Handelsgericht Wien.

Für seinen Sieg gegen Blümel wurde Wolfgang Pechlaner von der Wochenzeitung Falter als Hero der Woche ausgezeichnet: https://www.falter.at/zeitung/20221221/hero

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