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§ 18 Abs 4 ECG (seit 17.02.2024 nunmehr § 13 Abs 3 ECG)

Erfolgreicher Antrag auf Herausgabe der Nutzerdaten

Kurzversion

Auf einer Arbeitsplatz-Bewertungsplattform mit Unternehmenssitz in Deutschland wurde in einem Kommentar eine Wiener Geschäftsführerin u.a mit Narzisstischer Borderliner-Chef“ und „Zeit wird’s für eine Verhaltenstherapie“ verunglimpft. Sie brachte am HG Wien einen Antrag auf Herausgabe der Nutzerdaten gem § 18 Abs 4 ECG (seit 17.02.2024: § 13 Abs 3 ECG) ein.

Grundsätzlich gilt für den Auskunftsanspruch das Herkunftslandprinzip 20 ECG), wonach deutsches Recht zur Anwendung käme.

Auch in Deutschland gibt es einen Auskunftsanspruch (§ 21 Abs. 2 TTDSG; früher: § 14 Abs. 3 TMG).

Der Auskunftsanspruch des § 21 Abs. 2 TTDSG ermöglicht Nutzern, selbst auf zivilrechtlichem Wege gegen die Autoren der gegen sie gerichteten Hate Speech und sonstiger verletzender Äußerungen vorgehen zu können. Erforderlich ist die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter durch rechtswidrige Inhalte gem. § 10a Abs. 1 TMG oder § 1 Abs. 3 NetzDG.

Ausführlich hierzu etwa: https://lrz.legal/de/lrz/der-auskunftsanspruch-nach-21-abs-2-ttdsg-und-der-digital-services-act-dsa-keine-auskunft-fuer-alle

Ändert sich durch den DSA etwas?

Nein, das Herkunftslandprinzip und die Ausnahmen sind unverändert.

Die Geschäftsführerin konnte sich aber erfolgreich auf österreichisches Recht stützen, weil bei einer Verletzung der Menschenwürde (§ 22 Abs 2 Z 2 ECG) vom Herkunftslandprinzip abgewichen werden kann. Voraussetzung ist, dass eine hochgradige Verletzung der Persönlichkeitssphäre einer natürlichen Person vorliegt. Die Zuschreibung einer psychischen Erkrankung stellt eine derartige Verletzung dar. Das HG Wien gab dem Auskunftsanspruch statt.

Das deutsche Unternehmen brachte keinen Rekurs ein und übermittelte die geforderten Nutzerdaten, die Entscheidung ist rechtskräftig.

Langversion

Auf einer Bewertungsplattform für Arbeitergeber:innen (https://www.kununu.com/) wurde am 20.04.2023 anonym eine rechtswidrige Bewertung veröffentlicht. Das bewertete Unternehmen hatte einen Geschäftsführer und eine Geschäftsführerin. Die Bewertung erhielt unter anderem folgende Äußerungen: „man wird angebrüllt, einfach weil die Vorgesetzte 0 Selbstkontrolle hat und ständig ihre innere Unzufriedenheit an den Mitarbeiter*innen auslässt“, Narzisstische Borderliner-Chef“ und Zeit wird’s für eine Verhaltenstherapie“.  

Der Host-Provider der Website hat seinen Sitz in Deutschland. Auf eine anwaltlich aufgesetzte Auskunfts- und Löschungsaufforderung reagierte der Host-Provider mit einer standardisierten E-Mail, wonach die Bewertung vorübergehend deaktiviert werde und der Auskunftsanspruch verneint wird.

Die Geschäftsführerin bracht am Handelsgericht Wien einen Antrag auf Herausgabeder Nutzerdaten gem § 18 Abs 4 ECG (seit 17.02.2024 nunmehr § 13 Abs 3 ECG) gegen das in Deutschland ansässige Unternehmen ein.

Die Bewertungen beziehen sich eindeutig auf sie und stellen eine hochgradige Verletzung der Menschenwürde dar. Die österreichische Zuständigkeit begründet sich auf Art 7 Z 2 EuGVVO, der Schaden der negativen Bewertung ist in Wien, am Standort des Unternehmens, eingetreten.

Die Anwendbarkeit des österreichischen Sachrechts begründet sich auf § 22 Abs 2 Z 2 ECG, die Bewertung verletzt die Würde eines einzelnen Menschen, wodurch ein Abweichen vom Herkunftslandprinzip zulässig ist.

Das Unternehmen stützt sich darauf, dass mangels namentlicher Nennung und aufgrund der männlichen Anrede „Narzisstische Borderliner-Chefdie Geschäftsführerin nicht aktivlegitimiert sei. Inhaltlich sei die Bewertung zulässig: Narzisst stelle nur auf eine Selbstverliebtheit ab und weder der Vorwurf Borderliner-Chef noch „Zeit wird’s für eine Verhaltenstherapie“ stelle auf eine psychische Störung ab.

Die Antragstellerin entgegnete dem Vorbringen, dass in der Bewertung vier Mal auf eine weibliche Vorgesetzte abgestellt wurde. Nur aufgrund des unterlassenen Genderns könne nicht die Aktivlegitimation aberkannt werden. Die Bewertung sei zudem nicht zulässig: Narzissten sind Menschen mit ausgeprägtem Egoismus, Arroganz und Selbstsüchtigkeit, welche sich anderen gegenüber rücksichtslos verhalten. Der Vorwurf „Borderliner-Chef“ ist ein Vorwurf einer psychischen Störung, die von Instabilität und Impulsivität charakterisiert ist.. Dieser wird durch den Vorwurf „Zeit wird’s für eine Verhaltenstherapie“ nochmals verstärkt.

Das HG Wien gab mit Beschluss vom 26.01.2024 dem Auskunftsanspruch statt, Namen und Adresse des:der Nutzer:in bekanntzugeben.

Nach § 22 Abs 2 Z 2 ECG (entsprechend Art 3 Abs 4 lit a sublit i der EC-RL) greift eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip bei Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen. Entsprechend der Materialien zum ECG beschränkt sich diese Ausnahme auf Ansprüche natürlicher Personen (ErläutRV 817 BlgNR 21. GP 48).Voraussetzung ist eine „hochgradige Verletzungeines Persönlichkeitsrechts (etwa §§ 16, 1330 ABGB, §§ 6 ff MedienG).

Aus der Gesamtzusammenschau der Bewertung ergibt sich eine Zuschreibung einer psychischen Erkrankung, die geeignet ist, iSd § 1330 ABGB die Personenwürde und den Ruf der Antragstellerin massiv zu gefährden und zu beeinträchtigen. Es kommt nach § 22 Abs 2 Z 2 ECG österreichisches Recht zur Anwendung. Nachdem unser berechtigtes Informationsinteresse einem allfälligen datenschutz-rechtlichen Interesse an der Anonymität überwiegt, steht der Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG (seit 17.02.2024 nunmehr § 13 Abs 3 ECG) zu.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Der Host-Provider hat keinen Rekurs eingebracht und fristgerecht die E-Mail-Adresse des Accounts übermittelt. Nachdem daraus noch keine verwertbaren Daten für eine gerichtliche Geltendmachung erlangt wurden, wird die Antragstellerin einen Auskunftsanspruch gegen den Anbieter des Kommunikationsdienstes der E-Mail-Adresse einbringen.

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