Eine Twitter-Userin, welche unter einem Pseudonym auftrat, unterstellte unrichtigerweise einem Mitglied einer überparteilichen Interessenvertretung, dass er neben seinem Einkommen eine 350 m²-Wohnung als Gratis-Zugabe von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt bekommen würde und ein „Einkassierer“ sei.
Der Privatankläger hat beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Antrag auf Ausforschung eingebracht, weil der dringende Verdacht bestand, dass durch die gegenständlichen Äußerungen der Tatbestand der Üblen Nachrede gem § 111 StGB erfüllt ist. Die Twitter International Company soll gem §§ 71 Abs 1 iVm 76a Abs 1 StPO (seit 17.02.2024 nunmehr § 135 Abs 1a StPO) die verfügbaren Stammdaten der Twitter-Userin mitteilen.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien gab dem Auskunftsanspruch statt und forderte Twitter auf, die Daten mitzuteilen.
Dagegen erhob Twitter eine Beschwerde und begründete dies damit, dass Twitter als Social Media Anbieter nicht von dem Auskunftsbegehren nach § 76a Abs 1 StPO (seit 17.02.2024 nunmehr § 135 Abs 1a StPO) umfasst sei. Das Auskunftsbegehren nach Abs 1 stellt nur auf Stammdaten ab. Verkehrsdaten seien jedoch nicht vom Auskunftsanspruch erfasst, dazu zählen Daten, die zum Zwecke der Weiterleitung einer Nachricht an ein Kommunikationsnetz oder zum Zwecke der Fakturierung dieses Vorgangs verarbeitet werden (§ 160 Abs 3 Z 6 TKG). Nachdem Twitter die geforderten Stammdaten nur digital auf einer Website abgespeichert habe, müsste es Verkehrsdaten bearbeiten, um auf die Stammdaten der Nutzerin zugreifen zu können. Dies sei nicht von § 76a Abs 1 StPO umfasst.
Der Privatankläger brachte dagegen vor, dass § 76a Abs 1 StPO (nunmehr § 135 Abs 1a StPO) auch gegenüber Social Media Anbietern greift und dies sich bereits aus den Erläuterungen der HiNBG-Novelle ergebe. Zudem sind Stammdaten alle Daten, die für die Begründung, die Abwicklung, Änderung oder Beendigung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Benutzer und dem Anbieter oder zur Erstellung und Herausgabe von Nutzerverzeichnissen erforderlich sind. Twitter gibt in seiner Datenschutzerklärung selbst an, dass es die Daten speichert, solange ein Account existiert.
Das Oberlandesgericht Wien gab der Beschwerde nicht Folge und folgte der Rechtsansicht des Privatanklägers vollinhaltlich:
Seit dem HiNBG, BGBl. I Nr. 148/2020, sind auch „sonstige Diensteanbieter“ von dem Auskunftsanspruch nach § 76a Abs 1 StPO erfasst. Nach den Erläuterungen (EBRV 481 BlgNR 27. GP 29 f) sollen auch OTT-Dienste (Over the top) wie Google, YouTube oder Twitter erfasst sein. Twitter ist daher klar vom Auskunftsanspruch nach § 76a StPO erfasst.
Stammdaten sind alle Daten die für die Begründung, die Abwicklung, Änderung oder Beendigung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Benutzer und dem Anbieter oder zur Erstellung und Herausgabe von Nutzerverzeichnissen erforderlich sind. Aus der öffentlich einsehbaren Datenschutzrichtlinie von Twitter ergibt sich, dass für einen persönlichen Account folgende Daten angegeben werden müssen: Anzeigename, ein Nutzername, ein Passwort, eine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer, ein Geburtsdatum.
Das OLG Wien folgte der Rechtsansicht von Twitter nicht, dass Stammdaten zu Verkehrsdaten werden, wenn diese online abgespeichert werden. Die Daten werden von Nutzer:innen bei der Begründung der Rechtsbeziehung, also der Erstellung des Accounts, online eingegeben, wodurch Twitter diese nur elektronisch zur Verfügung hat. Wo Twitter letztlich die Daten abspeichert, liegt in seinem Ermessen, kann aber nicht zu einer Umgehung des Auskunftsanspruchs führen.
Der OLG Beschluss zu 17 Bs 257/23b vom 27.11.2023 ist rechtskräftig. Dem Landesgericht für Strafsachen Wien gelang es, die Person hinter dem Twitter-Account auszuforschen und dem Privatankläger wurden die Daten am 27.02.2024 mitgeteilt. Es kam zu einem außergerichtlichen Vergleich.
Anmerkung: Die Rechtsvertretung von Twitter veröffentlichte in der Fachzeitschrift Medien und Recht (MR 2023, 251) einen Beitrag, in welchem sie im Wesentlichen ihre Berufung nochmals ausführte. Ein Hinweis, dass die Rechtsprechung ihrer Argumentation nicht folgt und § 76a Abs 1 StPO in der Praxis auch gegenüber Social-Media-Diensten funktioniert, fehlt leider.